Ich glaube, dass der Höhepunkt der japanischen Keramik die Teeschale ist; sie ist ein Symbol für die Vereinigung des Schönen und des Gebrauchs. Die Schönheit einer Schale kann man erst begreifen, wenn man aus ihr trinkt. Es ist nicht mit dem Sehen getan, man muss daraus trinken, sie in die Hand nehmen und ihre Schönheit auskosten.

 

Kaneshige Yuko

 

 

Der Teeweg

 

Zur japanischen Teezeremonie

 

Von Martin Oskar Kramer

 

Die Sitte des Teetrinkens wurde von japanischen Zen-Mönchen, die Jahre in chinesischen Zenklöstern verbracht hatten, aus dem Song-zeitlichen China nach Japan eingeführt. Dort verbreitete sie sich schnell zunächst innerhalb der japanischen Klöster, in der Folge unter den Adligen am Hof, den Samurai und reichen Kaufleuten, dann auch in weiteren Bevölkerungsschichten. Inspiriert vom Gedankengut der Zen-Klöster, in denen viele alltägliche Handlungen als Formen der Meditation angesehen wurden, entwickelten verschiedene Teemeister im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts die heute noch übliche Form der rituellen Teezubereitung. Einen Höhepunkt fand sie unter Sen no Rikyū, dem Teemeister des Kriegsherrn Toyotomi Hideoshi, welcher Japan nach gut zweihundertjähriger Zerrissenheit und Bürgerkriegen militärisch wiedervereinte. Noch heute berufen sich die wichtigsten japanischen Teeschulen auf Rikyū als ihren Ahnherrn. Tragischerweise musste sich Rikyū auf Hideyoshis Befehl selbst töten, nachdem er aus nicht bekannten Gründen dessen Zorn erregt hatte.

 

Obwohl konfuzianisches, taoistisches, shintoistisches und wahrscheinlich auch christliches Gedankengut in die Teezeremonie mit einfloss, ist sie doch grundlegend vom Zen-Buddhismus geprägt. In der kriegerischen Zeit, in der sie entstand, war das Bewusstsein der Vergänglichkeit menschlichen Daseins allgegenwärtig. Die Zusammenkunft zum rituellen Teetrinken zelebriert deswegen den augenblicklichen, einzigartigen und in dieser Form unwiederbringlichen Moment. Jeder Einzelheit des Ablaufs wird höchste Beachtung und Konzentration geschenkt. Im Trubel des Alltags bildet die Teezeremonie einen Ruhepunkt, ein bewusstes Innehalten, einen Ort der geistigen Reinheit und der gemeinsamen Meditation.

                                                

Für die japanische Kultur ist die Teezeremonie von nicht zu überschätzender Bedeutung, da in ihr die unterschiedlichsten traditionellen Disziplinen und Künste zusammenkommen: von Gartenbau und Architektur über Keramik, Metall- und Holzbearbeitung bis hin zu Kalligrafie, Malerei, Poesie und Blumenarrangement. Gleichzeitig kann ihr Ablauf selbst als ein performatives Kunstwerk betrachtet werden. Sie hat eine ganz eigene Ästhetik hervorgebracht, die mit den Begriffen wabi und sabi bezeichnet wird: diese bevorzugt das Asymmetrische, Imperfekte, Schlichte, Erdige, die Patina des natürlich Gealterten. Im Rahmen der Keramik war es eine Entscheidung der frühen Teemeister gegen die Perfektion importierten chinesischen Porzellans und für die raueren japanischen Steinzeug- und Rakugefäße mit ihren organisch wirkenden Verformungen und einfachen Eisen- und Ascheanflugglasuren. Das Herz der Teezeremonie bildet die Teeschale (chawan): in ihr wird der grüne Pulvertee mit heißem Wasser aufgegossen und schaumig geschlagen. Sie muss das Kunststück vollbringen, trotz ihrer Verformungen und Asymmetrie eine absolut in sich ruhende Gelassenheit und Vollkommenheit auszustrahlen. Ihre scheinbare Einfachheit entspringt nicht der Unbeholfenheit des Machers, sondern entspricht dem „Anfängergeist“ im Zen: dies ist ein Zustand naiver Spontanität, den nur wahre Meister erreichen.

 

 

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© Hendrik Schöne